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Thermodynamisches Stabilitätskriterium

Zur Betrachtung der Stabilität stationärer Strukturen im Nichtgleichgewicht untersuchen (Glansdorff und Prigogine(1971)) die zeitliche Änderung der Entropieproduktion im Volumen V,

\begin{displaymath}
P(t) = \int_V dV \sum_A J_A X_A \, \ge 0 \quad .\end{displaymath} (18)

Sie setzt sich aus den beiden Anteilen

\begin{displaymath}
d_JP = \sum_A \int_V dV \delta J_A X_A \quad \hbox{und} \quad
d_XP = \sum_A \int_V dV J_A \delta X_A\end{displaymath} (19)

zusammen. Als Folge der Gültigkeit des lokalen Gleichgewichts kann man zeigen, daß unter dieser Voraussetzung generell für beliebige XA und JA

\begin{displaymath}
{d_XP \over dt} = \sum_A \int_V dV J_A {\delta X_A \over dt} \, \le 0 \end{displaymath} (20)

gilt, eine allgemein gültige Relation für den Term dJP existiert dagegen nicht. Im Spezialfall des Gültigkeitsbereichs der linearen Ansätze, d.h. bei nicht zu großem Abstand vom Gleichgewicht, folgt jedoch (Glansdorff und Prigogine(1971))

\begin{displaymath}
{d_JP \over dt} = {d_XP \over dt} \quad ,\end{displaymath} (21)

so daß die Entropieproduktion P(t) kontinuierlich abnimmt, bis sie ein Minimum im stationären Nichtgleichgewichts annimmt. Die zeitliche Entwicklung der XA und JA eines linearen irreversiblen Prozesses vollzieht sich also bei der Annäherung an den stationären Zustand immer in eine Richtung, die zu einer Verkleinerung von P(t) führt (``Prinzip der minimalen Entropieproduktion'', (Prigogine(1979))). Eine Funktion P(t) mit diesen Eigenschaften wird in der nichtlinearen Dynamik als ``Ljapunow-Funktion'' bezeichnet. Die Existenz einer solchen Funktion sichert die Stabilität des betrachteten stationären Nichtgleichgewichtszustandes gegenüber zufälligen Änderungen (Fluktuationen) der thermodynamischen Variablen.

Außerhalb des Gültigkeitsbereichs der linearen Ansätze führten Glansdorff und Prigogine alternativ ein Stabilitätskriterium auf der Grundlage der sogenannten ``Exzeßentropiedichte'' $\delta^2 s$ ein, die bei Reihenentwicklung in der Nähe eines stationären Nichtgleichgewichtszustandes gemäß

\begin{displaymath}
s(u^0+\delta u, n_i^0+\delta n_i) = 
s(u^0, n_i^0) + \delta s + {1 \over 2} \delta^2 s + \hbox{..} \end{displaymath} (22)

entsteht. Der Term 2. Ordnung $\delta^2 s$ist im Nichtgleichgewicht immer negativ, solange sich das System lokal im Gleichgewicht befindet. Falls die zeitliche Änderung von $\delta^2 S$(t) bei festgehaltenen Randbedingungen ($\delta j_i$ = 0 auf $\partial V$)

\begin{displaymath}
{d \over dt} \delta^2 S = \int_V dV {\partial \over \partial t} s(\vec{x},t)
= \int_V dV \sum_A \delta J_A \delta X_A\end{displaymath} (23)

die Bedingung

 
 \begin{displaymath}
\int_V dV \sum_A \delta J_A \delta X_A \stackrel{!}{\ge} 0\end{displaymath} (24)

erfüllt, stellt $\delta^2 S(t)$ ebenfalls eine sogenannte ``Ljapunow Funktion'' des Systems dar. Gleichung (24) stellt somit ein auf Systeme fernab vom Gleichgewicht verallgemeinertes thermodynamisches Stabilitätskriterium dar.

Zusammenfassend kann man feststellen, daß es in der Nähe des Gleichgewichts einen sogenannten ``thermodynamischen Lösungszweig'' gibt, der immer stabil ist. Erst von einem überkritischen Abstand an werden Bifurkationen zu neuartigen Lösungszweigen des thermodynamischen Systems möglich; dies kann unter geeigneten äußeren Randbedingungen zur Herausbildung von stationären Raum-Zeit-Strukturen weitab vom Gleichgewicht führen. Man bezeichnet diese Strukturen auch als ``dissipative Strukturen'' ((Ebeling und Feistel(1982); Glansdorff und Prigogine(1971)), siehe auch Abb. 4 aus (Riedel(1994))).


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Michael Riedel
10/6/1997