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Lineare Ansätze nach Onsager

Die Grundlagen und Methoden der irreversiblen Thermodynamik wurden zu Beginn der 70iger Jahre unter dem qualitativ neuen Gesichtspunkt der einheitlichen Beschreibung nichtlinearer Prozesse in den verschiedenen naturwissenschaftlichen Disziplinen neu entwickelt. Wir geben hier im folgenden einige Grundzüge dieser Theorie wieder ((DeGroot und Mazur(1962); Ebeling und Feistel(1982); Glansdorff und Prigogine(1971))).

Wir betrachten ein Kontinuum bestehend aus diskreten (infinitesimal kleinen) Volumenelementen $\delta V$ und führen orts- bzw. zeitabhängige Zustandsfelder mit Hilfe folgender Zuordnungsvorschrift ein:


$\bullet$ extensive Zustandsgrößen der Thermodynamik:

\begin{displaymath}
\hbox{Zustandsgr\uml o\3e \, A} \quad \to \quad 
 \hbox{Dich...
 ...im_{\delta V \to \, 0} 
 {\delta A(t) \over \delta V}
\nonumber\end{displaymath}

$\bullet$ intensive Zustandsgrößen der Thermodynamik

\begin{displaymath}
\hbox{Zustandsgr\uml o\3e \, T} \quad \to \quad 
 \hbox{Feld} \quad T(\vec{x},t)\end{displaymath}

$\bullet$ makroskopische Bewegung $\vec{u}(t)$

\begin{displaymath}
\hbox{Bewegungsvektor} \quad \to \quad 
 \hbox{Geschwindigkeitsfeld} \quad \vec{u}(\vec{x},t)\end{displaymath}

Bei der weiteren Beschreibung wird davon ausgegangen, daß sich jedes Volumenelement im lokalen thermodynamischen Gleichgewicht befindet. Voraussetzung dafür ist, das $\delta V$ einerseits hinreichend groß ist, um die thermodynamischen Gesetze anwenden zu können, andererseits so klein gewählt wird, daß in jedem Volumenelement (nahezu) konstante thermodynamische Bedingungen herrschen. Als Kriterium gilt, daß sich die lokalen Zustandsgrößen über die mittlere freie Weglänge des Systems nicht wesentlich ändern dürfen ((Glansdorff und Prigogine(1971))).

Damit kann in jedem Volumenelement $\delta V$ von der Gültigkeit der Gibbs'schen Fundamentalgleichung für die lokale Änderung der Entropiedichte s($\vec{x}$,t) ausgegangen werden,

 
 \begin{displaymath}
T(\vec{x},t) \, ds(\vec{x},t) = de(\vec{x},t) + p(\vec{x},t)...
 ...,t) -
 \sum_{i=1}^N \mu_i(\vec{x},t) \, dn_i(\vec{x},t) \quad .\end{displaymath} (9)

Hierbei ist $\mu_i$ das chemische Potential und ni die Konzentration der i-ten Komponente des betrachteten Mehrstoffsystems, $v(\vec{x},t)=\rho^{-1}$ ist das spezifische Volumen ($\rho$ - Massendichte), und $e(\vec{x},t)$ ist die Dichte der inneren Energie. Die zeitliche Veränderungen der Zustandsgrößen im Volumenelement wird mit Hilfe von Gleichungen der Form

\begin{displaymath}
{\partial a(\vec{x},t) \over \partial t} =
 q_A(\vec{x},t) - \hbox{div} \vec{J}_A(\vec{x},t)\end{displaymath} (10)

bilanziert, hierbei ist $q_A(\vec{x},t)$ die zur extensiven Zustandsgröße A gehörende Produktionsdichte und $\vec{J}_A(\vec{x},t)$ die Stromdichte des Flusses von A aus $\delta V$ heraus. Entsprechend gilt für die Entropiebilanz die lokale Relation

 
 \begin{displaymath}
{\partial s(\vec{x},t) \over \partial t} =
 q_S(\vec{x},t) - \hbox{div} \vec{J}_S(\vec{x},t) \quad .\end{displaymath} (11)

Wir definieren nun den Wärmestrom $\vec{j}_Q$ (thermische Diffusion ohne konvektivem Wärmetransport) über

\begin{displaymath}
\vec{J}_e(\vec{x},t) = e(\vec{x},t) \, \vec{u}(\vec{x},t) + \vec{j}_Q(\vec{x},t) \quad ,\end{displaymath} (12)

und machen für die Energieproduktion qe in $\delta V$ (innere Energie) den physikalisch plausiblen Ansatz ((Ebeling und Feistel(1982); Haase(1963)))

\begin{displaymath}
q_e = \sum_{i=1}^N \vec{F}_i \cdot \vec{J}_i - (\hat{P}:\vec{\nabla}) \cdot \vec{u} \quad .\end{displaymath} (13)

Hierbei stellt der erste Term die Arbeit der Diffusionsflüsse gegen die äußeren Felder $\vec{F}_k$ und der zweite Term die Arbeit der Impulsströme gegen den Drucktensor $\hat{P}$ (innere Reibung) dar. Durch Einsetzen bzw. Kombination der Bilanzgleichungen mit der lokalen Gibbs'schen Fundamentalgleichung (9) erhält man für den Entropieproduktionsterm von Gl. (11) ($\hat{P}^d$ - nichtelastischer Anteil des Drucktensors)

\begin{displaymath}
q_S = \sum_{i=1}^N q_i \bigl( - {\mu_i \over T} \bigr) + \ve...
 ...r) \Bigr]
 - {1 \over T} (\hat{P}^d:\vec{\nabla}) \cdot \vec{u}\end{displaymath} (14)

sowie für die Entropiestromdichte (N Komponenten)

\begin{displaymath}
j_S = j_Q {1 \over T} + \sum_{i=1}^N j_i \bigl( - {\mu_i \over T} \bigr) \quad .\end{displaymath} (15)

Entropie wird produziert infolge von chemischen Reaktionen (qi), von Wärmeleitung ($j_Q \sim$ grad 1/T), durch Stoffdiffusion ($j_i \sim$ grad $\mu_i/T$) und durch innere Reibung ($\sim \hat{P}^d$). Die lokale Entropieproduktion hat die mathematische Struktur einer Bilinearform

\begin{displaymath}
q_S(\vec{x},t) = \sum_A J_A(\vec{x},t) \cdot X_A(\vec{x},t) \quad ,\end{displaymath} (16)

mit den verallgemeinerten Strömen JA (``Wirkung'') und Kräften XA (``Ursachen''). Da im thermodynamischen Gleichgewicht sowohl die JA als auch die XA verschwinden, gelten in Gleichgewichtsnähe die linearen Ansätze nach Onsager ((DeGroot und Mazur(1962)))

 
 \begin{displaymath}
J_A = \sum_B L_{AB} X_B \quad ,\end{displaymath} (17)

mit LAB als phänomenologische Koeffizienten. Für die LAB sind aus allgemeinen Symmetrieüberlegungen heraus die Onsager'schen Reziprozitätsbezieheungen LAB=LBA ableitbar (Onsager(1931)). Desweiteren gilt ein Symmetrieprinzip ((Prigo-gine(1979); Prigogine(1967))), das besagt, daß Kopplungen zwischen Tensoren verschiedener Stufe bezüglich der JA and XB nicht möglich sind.

Auf der Beziehung (17) fußen sowohl die Grundgleichungen

Sie bildet somit die Grundlage für die Beschreibung des Relaxationsverhaltens einer sehr großen Anzahl geochemischer bzw. geophysikalischer Systeme, die sich in einem Druck-, Temperatur- oder Konzentrationsgradienten befinden und in Wechselwirkung mit ihrer Umgebung stehen.


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Michael Riedel
10/6/1997