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Spinodale Entmischungen

Spinodale Entmischungen sind Prozesse weitab vom thermodynamischen Gleichgewicht, d.h. außerhalb des Gültigkeitsbereiches der linearen Ansätze nach Onsager, Gleichung (17). Sie treten auf, wenn Mehrkomponentensysteme infolge plötzlicher Druck- oder Temperaturänderungen instabil werden. Im Unterschied zu Keimbildung und Wachstum wird die Ausgangsphase dabei nicht metastabil, sondern instabil, d.h. sie zerfällt spontan in jedem Volumenelement $\delta V$.
Voraussetzung dafür ist, daß das System in den Instabilitätsbereich hinreichend schnell gelangt, so daß mögliche metastabile Zustände schnell durchschritten werden, oder daß es sich in der Nähe eines thermodynamisch kritischen Punktes befindet. Klassisches Beispiel hierfür ist das Phänomen der kritischen Opaleszens in Flüssigkeiten bzw. Gläsern ((Stan-ley(1971))). Die zeitliche Evolution des Systems nach dem Zerfall wird im Rahmen des Kontinuummodells der irreversiblen Thermodynamik mit Hilfe eines Landau'schen Ordnungsparameterkonzepts beschrieben ((Cahn(1968))). Die freie Energie F im Volumen V wird dabei nach einem Ordnungsparameter $c(\vec{x},t)$ entwickelt (in der Regel die Konzentration einer Komponente)

\begin{displaymath}
F = \int_V (f(c(\vec{x},t)) + c_2 (\nabla c)^2 ) dV \quad ,\end{displaymath} (48)

c2 ist ein phänomenologischer Koeffizient. Zufällige Fluktuationen des Ordnungsparameters werden im thermodynamisch instabilen Bereich nicht mehr wie im metastabilen Bereich abgedämpft, sonder in einem bestimmten (Raum-)Frequenzbereich verstärkt

\begin{displaymath}
c(\vec{x},t) - c_0 = \sum_{\vec{k}} e^{R(\vec{k})t} \, A(\ve...
 ...a_{\vec{k}})
\cong e^{R_{max}t} \, [c(\vec{x},0) - c_0] \quad ,\end{displaymath} (49)

wobei der Verstärkungsfaktor Rmax eine materialabhängige Konstante ist. Die Längenskala der entstehenden Raum-Zeit Struktur liegt zunächst weit unterhalb der optischen Auflösung (3..10 nm), durch den sich anschließenden Vergröbererungsprozeß (``coarsening'' zur Minimierung der internen Oberflächenenergie) kann sie dennoch nach einiger Zeit den $\mu m$-Bereich erreichen und damit unter dem Mikroskop sichtbar werden. Üblicherweise verläuft dieser Vergröbererungsprozeß in Flüssigkeiten im Sekundenbereich oder schneller ((Goldburg et al.(1978))), in Gläsern im Minuten- bis Stundenbereich ((Neilsen(1969))), und in Mineralen im Bereich von einigen Tagen bis Wochen ((Jantzen(1984); Owen und McConnell(1971); Smith(1980))).

Experimentelle Untersuchungen von spinodalen Entmischungen bestimmen in der Regel die radiale Verteilungsfunktion der Inhomogenitäten auf der Grundlage einer Streugeometrie. Die Wellenlänge der abtastenden Strahlung muß dabei in der Größenordnung der zu erwartenden Dichteinhomogenitäten liegen, d.h. bei Mineralen im Bereich von 3 bis einigen 100 nm. In Festkörpern spielen die durch den Entmischungsvorgang hervorgerufenen elastischen Spannungen eine Rolle, so daß hier im Unterschied die Lage der sogenannten ``kohärenten'' Spinodale bestimmt wird ((Cahn(1962))), vgl. z. B. (Pentinghaus und Kroll(1991)). In Flüssigkeiten können die Raum-Zeit-Strukturen jedoch ohne weiteres den optisch sichtbaren Bereich erreichen, allerdings laufen hier die zugrunde liegenden diffusiven Vorgänge so schnell ab, daß sie nur mit Hilfe von aufwendigen experimentellen Techniken analysierbar bzw. beobachtbar sind.

Dies war der Ansatzpunkt für die von uns durchgeführten Experimente von spinodalen Entmischungen in der Diamantstempelkammer ((Daßler und Riedel(1991a))). Mit Hilfe der Bildverarbeitung war es möglich, die Autokorrelationsfunktion

\begin{displaymath}
A(\vec{x},t) = \sum_{\vec{x'}} \delta c(\vec{x}+\vec{x'},t) \, \delta c(\vec{x'},t)\end{displaymath} (50)

des Entmischungsprozesses zu bestimmen. Dazu wurden die Dichtefluktuationen einer Komponente, $\delta c(\vec{x},t)$ = $c(\vec{x},t)$ - c0, direkt aus den mit 8bit (256 Graustufen) im Abstand von einigen Minuten digitalisierten Bildern gewonnen, siehe Fig. 1 aus (Daßler und Riedel(1991a)). Der entscheidende Ansatzpunkt war, durch die Anwendung hoher Drücke den ansonsten sehr schnell ablaufenden Entmischungsvorgang zu verzögern (starke Druckabhängigkeit der zugrunde liegenden diffusiven Transportprozesse).

Ausgangsmedium war das Flüssigkeitsgemisch Methanol:Äthanol:Wasser im Verhälnis 16:3:1, das standardmäßige Druckübertragungsmedium in der Diamantstempelkammer, (Piermarini et al.(1978)). Die Versuche wurden bei Zimmertemperatur durchgeführt, der erzeugte Druckabfall betrug einige 10 kbar in wenigen Sekunden. Es stellte sich heraus, daß bei sehr schnellen Quench-Vorgängen dieses Flüssigkeitsgemisch instabil wurde.

Ganz analoge Beobachtungen wurden kürzlich von (Brugmans und Vos(1995)) veröffentlicht. Sie studierten Methanol unter Druck bis 33 GPa bei Raumtemperatur und stellten bei schnellen Quenchprozessen den Übergang von Keimbildung und Wachstum (Kristallisation der festen Phase) zur druckinduzierten Amorphisierung der Flüssigkeit fest. Sowohl Keimbildungs- als auch Wachstumsrate waren bei ca. 10 GPa nahezu komplett unterdrückt worden, und es entstand festes Methanol in der Glasphase infolge eines Nichtgleichgewichtsphasenübergangs.

Das starke Interesse an spinodalen Entmischungsprozessen aus physikalischer Sicht (siehe z.B. (Binder und Stauffer(1976); Langer(1975))) ist in der Frage nach der möglichen Existenz eines dynamischen Skalierungsverhaltens begründet. Dies trifft vor allem auf die Spätstadien der entstehenden Raum-Zeit-Strukturen zu ((Langer et al.(1975))). Damit wird eine nach wie vor offene Problemstellung der statistischen Physik berührt ((Furukawa(1985))).



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Michael Riedel
10/6/1997