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Thesen


1. Untersuchungen zur Herausbildung von Raum-Zeit-Strukturen im Makro- und Mikromaßstab sind ein zentrales Thema der geowissenschaftlichen Grundlagenforschung. Die zum quantitativen Verständnis der natürlichen Vorgänge notwendigen thermodynamischen Modelle basieren dabei sowohl auf den Gleichgewichtseigenschaften der Gesteine und Minerale als auch auf deren zeitlichen Evolution infolge kinetischer Transportprozesse (Wärmeleitung, Stoffdiffusion, Konvektion, etc.).

2. Die Skaleninvarianz geologischer Phänomene gehört zu den ersten Konzepten, das im Grundstudium der Geowissenschaften vermittelt wird. Abbildungen geologischer Objekte sollten z.B. möglichst Objekte bekannter räumlicher Ausdehnung, sei es eine Münze, ein Gesteinshammer oder auch eine Person, enthalten, um den richtigen Größenmaßstab erkennen zu lassen. Selbstähnlichkeiten räumlicher Strukturen sind dabei das typische Ergebnis von in der Natur ablaufenden Strukturbildungsprozessen im thermodynamischen Nichtgleichgewicht.

3. Analog zu den räumlichen Skaleneigenschaften spielen Skalenbeziehungen bei der Untersuchung von dynamischen Ausgleichsvorgängen in der Geophysik eine wichtige Rolle. Markantes Beispiel hierzu ist das Studium der dynamischen Prozesse im Erdmantel, die auf einer typischen Zeitskala von 1 Million Jahre ablaufen. Die mit diesen globalen Prozessen in Zusammenhang stehenden physikalischen und chemischen Gesetzmäßigkeiten können nicht direkt und ohne größere Probleme kinetischen (Hochdruck-) Experimenten entnommen werden. Sie müssen erst mit Hilfe geeigneter Modellkonzepte von der Labor- zur geologischen Zeitskala extrapoliert werden.

4. Die experimentelle Mikroanalyse kinetischer Prozesse unter direkter visueller Beobachtung in heizbaren Hochdruckzellen vom Diamantstempeltyp bietet exzellente Möglichkeiten zur Bestimmung thermodynamischer Zustandsgrößen der zu untersuchenden Minerale (Visuelle Kontrolle von Phasengleichgewichten unter veränderlichen p,T-Bedingungen, Möglichkeit zur digitalen Bildverarbeitung zur Bestimmung von Keimbildungs- und Wachstumsraten, in-situ Deformation von Mineralen/Gesteinen, Mikro-Raman-Spektrometrie). Die visuelle Beobachtung ermöglicht dabei auch eine direkte Bestimmung von Zeitkonstanten einzelner Prozesse unter Laborbedingungen - im Gegensatz zum sogenannten ``post-mortem'' Verfahren bei kinetischen Experimenten in geschlossenen Hochdruckapparaturen.

5. Unter den (nahezu) isochoren Randbedingungen einer geschlossenen Hochdruckapparatur ist es nur bei Anwendung spezieller präparativer Techniken möglich, strukturelle Phasenumwandlungen bei konstanten p,T-Bedingungen ablaufen zu lassen. Sowohl die Rheologie des Stützmaterials (z.B. des Gaskets) als auch die Wärmeleitfähigkeit der Druckstempel haben einen signifikanten Einfluß auf den Prozeßverlauf und damit auf die abgeleiteten kinetischen Meßgrößen.

6. Phasenübergänge 1. Ordnung sind sehr häufig für Strukturbildungsprozesse in der Geophysik verantwortlich. Prominentes Beispiel sind die Hochdruckphasenübergänge in der Übergangszone des Erdmantles zwischen 410 km und 660 km Tiefe, die zu den zwei hauptsächlichen seismischen Reflexionen im Erdmantel führen. Sie entstehen im Ergebnis der Phasenumwandlung von Olivin in Spinell bzw. von Spinell in Postspinell.

7. Das Verständnis der in der ``transition zone'' des Erdmantels zwischen 410 km und 660 km Tiefe ablaufenden dynamischen Vorgänge berührt eine zentrale Fragestellung der globalen Geodynamik, die Wechselwirkung der globalen Konvektionsströme mit der 660 km Grenze zum unteren Erdmantel. Eine Schlüsselrolle spielen dabei die Vorgänge in der ``transition zone'' bei subduzierenden Platten ozeanischer Lithosphäre, wie sie z.B. bei der Untersuchung des Entstehens und der Herdmechanismen tiefer Erdbeben im Mittelpunkt stehen. Im Gegensatz zu den Erdbeben bis zu etwa 300 km Tiefe lassen sich tiefe Erdbeben nicht durch Sprödbruch und Reibungsgleiten erklären, da unterhalb von 300 km Tiefe das Mantelgestein plastisch deformierbar ist. Eine alternative Erklärungsmöglichkeit ist, sie mit den Hochdruckphasenübergängen in diesem Bereich in Verbindung zu bringen.

8. Bei den Temperaturen und Drücken, die im kalten Kern einer Subduktionszone zu erwarten sind, wird die Umwandlung von Olivin in die dichtere Spinell-Modifikation kinetisch so stark gehemmt, daß Olivin unter Umständen noch bis zu 100 - 200 km unterhalb der Gleichgewichtstiefe (bei ca. 400 km) selbst auf der geologischen Zeitskala metastabil bestehen bleiben kann.

9. Als Folge des metastabil verzögerten Olivin-Spinell Übergangs entsteht im Innern von schnell abtauchenden Platten im Ergebnis des Wechselspiels der Einflußgrößen Temperatur, Korngröße und Kristallstruktur (Olivin- bzw. Spinell-Kriechen) ein kompliziertes rheologisches Profil. Besonderes Merkmal dieses Profils ist die Entwicklung einer lokalen Schwächezone im zentralen kalten Plattenkern. Dieser Bereich besitzt eine geringere Kriechfestigkeit als seine wärmere Umgebung als Folge einer dramatischen Korngrößenreduktion bei der Olivin-Spinell Phasenumwandlung um bis zu 4-5 Größenordnungen.

10. Der mit dieser Phasenumwandlung verbundene Dichtesprung von $\sim$ 8 % resultiert auf Grund dieser besonderen Struktur in eine Niedrigdruck - Zone im Innern der Platte, da der umgebende Mantel bei $\sim$550 km Tiefe nicht mehr ungehindert den Dichtesprung akkomodieren kann (ober- und unterhalb geringere Kriechraten). Im Ergebnis wird sehr wahrscheinlich eine von außen seitlich auf die Platte wirkende (kompressive) Scherkraft erzeugt.

11. Das traditionelle Bild der Geophysik, die subduzierende Lithosphäre als ``stress-guide'' für die Plattentektonik anzusehen, d.h. ihr die Fähigkeit zuzuschreiben, elastische Spannungen auch in einen tieferen Bereich des Erdmantels übertragen zu können (vgl. Turcotte & Schubert, Geodynamics, Wiley 1982), ist zumindest in einigen Subduktionsgebieten des Westpazifik durch Ergebnisse der seismischen Tomographie zunehmend in Zweifel geraten. ``slab bending'' und ``slab detachment'' sind in diesen Gebieten im Tiefenbereich zwischen 410 km und 660 km sehr häufig beobachtete Phänomene. Mit dem hier vorgestellten Modell einer rheologischen Schwächung des kalten Kerns schnell abtauchender Platten ist ein neuer inhaltlicher Ansatzpunkt zum Verständnis dieser Phänomene gegeben.

12. Die mittlere Korngröße bei Keimbildungs-Wachstums-Prozessen ist - bei nahezu konstanten p,T-Bedingungen während des Überganges - durch eine Skalierungslänge, die sogenannte ``Avrami Länge'', gegeben. Diese Länge ist dynamisch bestimmt und somit abhängig von den jeweils herrschenden p,T-Bedingungen. Ganz analog ist die Zeitskala der Phasenumwandlung, die sogenannte ``Avrami Zeit'', ebenfalls von den p,T-Bedingungen abhängig. Sie gibt an, in welcher Zeit die Ausgangsphase zur Hälfte in die Produktphase umgewandelt worden ist.

13. Die Existenz von heterogenen Keimplätzen in der Ausgangsphase zerstört das generische Skalierungsverhalten bei Keimbildung und Wachstum, so daß die mikrostrukturellen Eigenschaften wie Korngrößen- und Clustergrößenverteilung nunmehr z.B. auch abhängig von der mittleren Korngröße der Ausgangsphase werden. Dies ist jedoch nur dann der Fall, wenn diese Ausgangskorngröße deutlich größer als die (jeweils lokal dynamisch bestimmte) Avrami-Länge ist.

14. Die unter Laborbedingungen ($\sim$ 10-4 GPa/s) beobachtbaren (kinetischen) Phasengrenzen bei Phasenumwandlungen der Mantelminerale (z.B. Olivin - Spinell) im p,T-Phasendiagramm sind mit Hilfe des Skalierungsgesetzes bei Keimbildungs-Wachstums-Übergängen auf die korrespondierenden kinetischen Phasengrenzen bezüglich der geologischen Zeitskala ($\sim$ 10-13 GPa/s) subduzierender Platten extrapolierbar. Dazu ist es allerdings notwendig, mehrere kinetische Parameter (Aktivierungsenergie und -volumen für die Diffusion von Bausteinen, Oberflächenenergie für Keimbildung, pre-exponentiale Faktoren für Keimbildung und Wachstum) experimentell zu bestimmen. Es treten signifikante Unterschiede zwischen den jeweiligen Lagen der kinetischen Phasengrenze im p,T-Phasendiagramm auf, da beide Zeitskalen um ca. 8-9 Größenordnungen voneinander abweichen.

15. Spinodale Entmischungen in binären Systemen sind typische Vertreter von Phasen-übergängen im Nichtgleichgewicht, da sie erst mit überkritischem Abstand von den Gleichgewichtsbedingungen auftreten. Die Dynamik der Phasenseparation bei instabilen Flüssigkeitsgemischen kann mit Hilfe der Bildverarbeitung unter den in-situ Bedingungen von Hochdruckzellen vom Diamantstempeltyp quantitativ analysiert und ausgewertet werden. Durch die Anwendung hoher Drücke wird dabei der ansonsten sehr schnell ablaufende Entmischungsvorgang hinreichend verzögert.



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Michael Riedel
10/6/1997