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Einleitung

Die spontane Bildung geordneter Strukturen aus Keimen oder ``ungeordnetem Chaos'' ist eines der faszinierendsten Phänome der modernen Naturwissenschaften überhaupt. Erscheinungen dieser Art sind alltägliche Erfahrung, wenn wir Veränderungen in der lebenden Natur betrachten. Seit der Aufdeckung der Prinzipien von Selbstorganisation und nichtlinearer Strukturbildung vor nunmehr 20 Jahren wird immer offensichtlicher, daß Erscheinungen dieser Art mit unterschiedlichem Komplexitätsgrad auch in der unbelebten Natur beobachtbar sind. Die Funktionsweise und Existenz derartig raum-zeitlich wohlstrukturierter Systeme beruht dabei auf ganz einfachen und allgemeinen Grundprinzipien - ähnlich denen in der lebenden Natur ((Ebeling und Feistel(1982))).

Betrachtet man sehr lange Evolutionszeiträume, dann wird man auf das Problem der Evolution der Erde bzw. das Problem der raum-zeitlichen Strukturbildung in den Geowissenschaften geführt. Es unterscheidet sich primär von der Strukturbildung in physikalischen, chemischen oder biologischen Systemen durch den Grad an Komplexität der auftretenden Wechselwirkungen sowie durch die um mehrere Größenordnungen voneinander abweichenden Zeitkonstanten: Spielen bei Labor-Systemen typischerweise Zeiten von Sekunden (oder -bruchteilen), Stunden, oder vielleicht auch Tagen eine Rolle, treten bei der Evolution in der lebenden Natur typischerweise Zeitkonstanten von Jahren bzw. Hunderte bis Tausende von Jahren auf, so beginnt die geologische Zeitskale erst bei einer Million Jahre. Dies hat zur Folge, daß zur Untersuchung der in der Erde ablaufenden dynamischen Ausgleichsvorgänge in keinem Fall direkte Rückschlüsse aus - wie auch immer gearteten - Laborexperimenten gezogen werden können. Es ergibt sich sozusagen permanent das Problem der Extrapolation der beobachteten kinetischen Vorgänge auf die geologische Zeitskala. Selbst bei der Untersuchung von Eigenschaften im (vermeintlichen) thermodynamischen Gleichgewicht ist die Sicherstellung der Einstellung des Gleichgewichtszustandes im Experiment eine der am häufigsten anzutreffende Fragestellung.

Gehen wir von der gegenwärtigen Situation aus, so haben sich die Paradigmen von Selbstorganisation und Synergetik inzwischen auch auf dem Gebiet der Geowissenschaften als sehr fruchtbringend erwiesen. Es existieren weitgehende Analogien zwischen zum Teil völlig unterschiedlichen Phänomenen, wie man am Beispiel der aktuellen Forschung zum Phänomen der ``selbstorganisierten Kritizität'' im System Erde erkennen kann. Die Skaleninvarianz geologischer Phänomene ist eines der ersten Konzepte, das heute im Grundstudium der Geowissenschaften vermittelt wird. Abbildungen geologischer Objekte sollten möglichst Objekte bekannter räumlicher Ausdehnung, sei es eine Münze, ein Gesteinshammer oder auch eine Person, enthalten, um den richtigen Größenmaßstab erkennen zu lassen. Selbstähnlichkeiten räumlicher Strukturen treten sehr häufig auf und sind eher die Regel als die Ausnahme.

Der zunehmenden Akzeptanz der Bedeutung nichtlinearer Phänomene im Geobereich stehen allerdings auch heute noch mitunter traditionelle Denkmuster gegenüber, die eher ein statisches Bild von den Vorgängen in der Erde vermitteln wollen. Gerade Geowissenschaftler zeichneten sich jedoch schon immer durch ein ausgeprägtes Bedürfnis zu interdisziplinärer Zusammenarbeit aus; Erkenntnisse der Einzelwissenschaften anderer Disziplinen werden benötigt, um in der eigenen Thematik einen Erkenntnisfortschritt erlangen zu können.

Ein Hauptproblem der Geophysik ist, daß das Untersuchungsobjekt - der Erdkörper - im wesentlichen direkten Messungen unzugänglich bleibt. Folglich sind wir bei dem Verständnis der in der Erde ablaufenden Prozesse fast vollständig auf indirekte Rückschlüsse angewiesen. Die möglichen Interpretationen von Beobachtungen hängen dabei sensitiv von den Materialeigenschaften der in der Erde vorkommenden Gesteine und Minerale ab. Eine Änderung der Schmelztemperatur von Perovskit im unteren Mantel z.B. kann hergebrachte Modelle der globalen Mantelkonvektion in Frage stellen ((Zerr und Boehler(1993))).
Aus diesem Grund hat sich in den letzten 25 Jahren eine eigenständige Disziplin in den Geowissenschaften entwickelt - die experimentelle Geophysik ((Bassett(1979))). Sie basiert zu einem großen Teil auf der Durchführung gezielter Hochdruckexperimente, um Gesteins- und Mineraleigenschaften besser verstehen zu können.

Die vorliegende Arbeit versteht sich als ein Versuch, Methoden der nichtlinearen Dynamik auf die notwendige Interpretation von Hochdruckexperimenten anzuwenden. Kinetische Experimente in Hochdruckzellen vom Diamantstempeltyp bilden den Ausgangspunkt zum Verständnis von geodynamischen Prozessen in der Subduktionszone. Thermodynamische Modellvorstellungen werden entwickelt, um erhaltene Resultate auf die geologische Zeitskala extrapolieren zu können.

Die Arbeit ist wie folgt gegliedert: Nach einem einführenden Grundlagenkapitel werden thermodynamische Konzepte zur Behandlung von Strukturbildungsvorgängen im Nichtgleichgewicht in kurzer Form in Kapitel 3 zusammengestellt. Die Kapitel 4, 5 und 6 fassen die Hauptergebnisse der im Anhang befindlichen Publikationen zusammen:

Der zusammenfassenden Darstellung sind im Anhang die Originalbeiträge beigefügt, in denen die Arbeiten detailliert beschrieben sind.



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Michael Riedel
10/6/1997